Sind Crunches schädlich für den Rücken?

Crunches sind eine häufig angewandte Kräftigungsübung für die Bauchmuskulatur. Ein Training mit dem Crunch führt zu Muskelwachstum und Kraftsteigerung der Bauchmuskeln. Jedoch wird von einigen Fitnessautoren und Forschern der Crunch als potentiell schädlich für den (unteren) Rücken angesehen. Ich stelle zunächst die Argumente der Crunch-Gegner dar und widerlege diese anschließend.

Was spricht gegen Crunches?

Einer der hauptsächlichen Gegner der Übung des Crunches ist Professor Stuart McGill. McGill ist Experte für die Biomechanik des Rückens und der Behandlung von Rückenschmerzen. Einige Fitnessautoren haben die Denkweise von McGill aufgegriffen und propagieren nur noch statisches 1 Bauchmuskeltraining. Sinnbild für eine statische Bauchmuskelübung ist dabei sicherlich die Plank (Deutsch = Unterarmstütz). Im Folgenden stelle ich einige Argumente gegen den Crunch dar und widerlege diese im Anschluss.

Crunches verschlechtern die Körperhaltung?!?

Der Crunch soll zu einer Verschlechterung der Körperhaltung führen. Bei der Ausführung eines Crunches kommt es zu einer Verkürzung des M. rectus abdominis (Six Pack Muskel). Der M. rectus abdominis hat seinen Ursprung am Brustbein und Brustkorb und setzt am Becken an. Eine kontinuierliche Verkürzung des Muskels zieht den Brustkorb nach unten und führt zu einem Rundrücken (Kyphose). Dieser Effekt soll dadurch verstärkt werden, dass die meisten Menschen zu viel sitzen und den Prozess der Verkürzung so begünstigt.

Das Anspannen eines Muskels verursacht ein Zusammenziehen (konzentrische Kontraktion) des Muskels. Führe ich über Dauer nur ein Zusammenziehen des Muskels durch, so kommt es zu einer Verkürzung des Muskels. 2 Jedoch wird beim Crunch der Muskel nicht nur angespannt (konzentrische Kontraktion), sondern auch unter Anspannung verlängert (exzentrische Kontraktion). Es kommt zu einem ausgleichenden Effekt zwischen Verkürzung und Verlängerung des Muskels. Der Muskel kann sich also durch den Crunch nicht verkürzen.

Das Sitzen einen Einfluss auf die Entstehung  von Verkürzungen der Bauchmuskulatur hat, ist nicht belegt.  Zwar kann eine komplette Immobilisation 3 eines Gelenks (z.B. bei einem Bruch) zu einer Verkürzung (Kontraktur) führen, jedoch ist das beim Sitzen nicht der Fall. Spätestens beim Aufstehen wird der Rumpf gestreckt und die Verkürzung aufgehoben. Auch bei anderen Gelenken, wie z.B. der Schulter reichen einige Ausgleichsbewegung aus, um die Gelenkbeweglichkeit zu erhalten. 4 Ich zitiere aus meinem Artikel Stretching und Dehnen- Ein Überblick:

” Die meisten Menschen dehnen sich nicht regelmäßig. 5 Und auch diejenigen, die sich regelmäßig dehnen, dehnen meist nicht alle Körperteile (wie z. B. den kleinen Finger oder die Zehen). Trotzdem werden wir in der Regel nicht zunehmend steifer. Auch bei Menschen, die sich regelmäßig dehnen, werden die nicht gedehnten Gelenke auch nicht regelhaft steifer. Es ist so, dass regelmäßiges Dehnen nicht notwendig ist, um die alltägliche Beweglichkeit zu erhalten. Vielmehr reichen die Anforderungen des Alltags aus, um die Beweglichkeit auf einem bestimmten Niveau zu halten.

Das bedeutet: normale, alltägliche Bewegung reicht aus, um ein normales Bewegungsausmaß aufrechtzuerhalten. 6

 

Die Hauptfunktion der Bauchmuskulatur ist Stabilisation und nicht Bewegung!?!

Nach Ansicht einiger Forscher 7 ist die Bauchmuskulatur (bzw. Core-Muskeln) hauptsächlich für die Stabilisation der Wirbelsäule zuständig. Schwache Bauchmuskeln und daraus resultierende mangelnde Stabilität des Rumpfs (Core Stabilität) sollen zu Beschwerden am Bewegungsapparat (z.B. Rückenbeschwerden)  und Verletzungen führen.

Ein Blick in ein Anatomie Buch 8 liefert folgende Funktionen der Bauchmuskeln: 9

  • Verspannung der Bauchwand und Bauchpresse,
  • Stabilisierung und Entlastung der Wirbelsäule,
  • Bewegung von Rumpf und Becken
  • und Unterstützung der Atmung.

Wie man sieht, hat die Bauchmuskulatur sowohl eine stabilisierende als auch eine mobilisierende (bewegende) Funktion. Diese Tatsachen zeigen, dass die Bauchmuskulatur je nach Situation unterschiedliche Funktionen ausführen kann. Z.B. wird bei der Übung “liegendes Beinheben” die Bauchmuskulatur stark stabilisierend beansprucht, da die Länge des Hebelarms für die angehobenen Beine so groß ist, dass die Bauchmuskulatur statisch (haltend) arbeiten muss, um das Becken und den Rumpf zu stabilisieren. Bei Crunches kommt es jedoch zu einer Bewegung des Oberkörpers. Die Bauchmuskeln werden dabei dynamisch beansprucht. Die Funktion der Bauchmuskeln ist situationsabhängig.

Die Stabilisation der Wirbelsäule als Hauptfunktion zu bezeichnen, ist falsch. Die Funktion der Bauchmuskulatur richtet sich nach ihrer Anforderung. Jeder Skelettmuskel kann sowohl als Stabilisator als auch als Beweger arbeiten. Beides setzt unterschiedliche Anspannungsformen der Muskeln (statisch/isometrisch und dynamisch) voraus.

 

Crunches sind nicht funktional!?!

Crunches werden als nicht funktional angesehen, da die Bewegung (liegen + beugen der Wirbelsäule) in kaum einer Sportart oder im Alltag vorkommt. Die Wirbelsäule wird meist in einer Neutral-Stellung der Wirbelsäule gehalten und sollte deshalb mit Übungen in Neutral-Stellung der Wirbelsäule trainiert werden. Die Befürworter für funktionale Übungen schlagen deshalb meist ein Training der Bauchmuskulatur im Stehen vor (z.B. am Kabelzug).

Leider berücksichtigt dieses Argument nicht die Erkenntnisse des motorischen Lernens. Beim motorischen Lernen wird unterschieden zwischen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Fähigkeiten sind ein allgemeines Merkmal oder eine Kapazität, die ein fundamentales Element für Ausführung von verschiedenen motorischen Fertigkeiten ist. 10 Fähigkeiten sind genetisch determiniert und kaum veränderbar. Dazu zählen z.B.: Koordination von mehreren Gliedmaßen, Reaktionszeit, Geschicklichkeit der Finger, allgemeines Gleichgewicht, statische und dynamische Kraft, dynamische Flexibilität, Ausdauer, … .Eine Fertigkeit ist eine Aktion oder Aufgabe, die ein spezifisches Ziel zu erreichen hat. 11 Fertigkeiten sind gut zu trainieren.  Beispiele dafür sind Golf spielen, Klavier spielen, Kniebeuge, Gehen, etc. In meinem Artikel “Schneller laufen durch Krafttraining” schreibe ich:

“Jedoch weiß man, dass die Entwicklung von Fertigkeiten hochspezifisch ist und es nur einen geringen Zusammenhang zwischen verschiedenen ähnlichen Fertigkeiten gibt. So heißt es nicht, dass jemand der gut Tennis spielt auch automatisch gut Badminton spielt. Des Weiteren weiß man, dass es sogar zu negativen Effekten kommt, wenn die erlernten Fertigkeiten sehr ähnlich sind. Zum Beispiel wurde das Dart werfen aus zwei unterschiedlichen Körperpositionen heraus untersucht (auf einem Stuhl sitzend und auf einem Tisch liegend). Die Performance wurde schlechter, nachdem die Positionen gewechselt wurden (im Vergleich zum Bleiben in der gleichen Position). Es stellte sich ein Performanceverlust dar, als ob gar kein Üben stattgefunden hat. Es kam also zu einer negativen Übertragung. Ein anderes Beispiel ist das Üben eines Basballschlags mit unterschiedlich schweren Baseballschlägern. Nach Üben mit dem schwerern Baseballschläger kam es zu einer Reduktion der Leistung beim Schlag mit einem normalen Baseballschläger. 12

Wenn man sagt, dass ein Crunch nicht funktional ist und davon ausgeht, dass beispielsweise eine im Stehen ausgeführte Bauchmuskelübung besser ist, dann vergisst man, dass beide Übungen keiner Sportart (Fertigkeit) in irgendeiner Weise ähnlich sind. Ein positiver Tranfser (Effekt) findet nicht statt.  Beide Übungen verbessern die Fähigkeit “Kraft” der Bauchmuskulatur, was durchaus hilfreich bei der ein oder anderen Sportart sein kann. Darüber hinaus kommt es jedoch zu keiner Verbesserung der Fertigkeit innerhalb einer Sportart.

Den Crunch als nicht-funktional zu bezeichnen, ist Unsinn. Kräftigungsübungen haben über ihren Kräftigungseffekt hinaus keine Auswirkung auf eine Fertigkeit. 13

 

Crunches führen zu Rückenbeschwerden und Bandscheibenvorfällen!?!

Das Crunches für den Rücken schädlich sein sollen, geht großteils auf die Studien von Professor Stuart McGill zurück. McGill geht davon aus, dass der Körper nur eine bestimmte Anzahl an Beugung der Lendenwirbelsäule zu lässt bis ein Bandscheibenvorfall entsteht. McGill hat diesen schädlichen Effekt von wiederholter Beugung und Streckung an Schweineskeletten nachgewiesen. 14 Seiner Ansicht nach sollte man deshalb lieber keine Crunches ausführen, da diese zu einer Beugung der Lendenwirbelsäule führen und die Wirbelsäule stark belasten. 15 Man sollte sich lieber die mögliche Anzahl an Beugungen der Wirbelsäule aufsparen, um alltägliche Aktivitäten durchführen zu können (z.B. Schuhe zu machen, etc.).

Wie in meinem Artikel “Schützt das richtige Heben von Lasten vor Rückenschmerzen?” geschrieben, gibt es folgende Gegenargumente zu den Studien von McGill:

“Das Problem mit den oben aufgeführten Tiermodellen ist, dass diese an Skeletten durchgeführt werden. Das führt zu folgenden Problemen:

  • Es wird der Effekt der Muskulatur auf die Wirbelsäule nicht berücksichtigt. Kräfte, die auf die Wirbelsäule wirken, werden auch über die Muskulatur verteilt. Bei Skelett-Versuchen ist dieser Effekt nicht darstellbar.
  • Des Weiteren wird eine mögliche Anpassungsreaktion des menschlichen Körpers auf Belastung außen vorgelassen. Bandscheiben, Wirbelkörper Bänder, usw. passen sich einer Belastung an. Dieser Effekt kann nicht mit Tiermodellversuchen abgebildet werden.
  • Eine Berücksichtigung von Stoffwechselvorgängen fehlt. Durch Beugung und Streckung der Wirbelsäule kommt es zu einem Stoffwechseleffekt, jedoch nur bei Lebenden.
  • Die betrachteten Wirbelsäulen haben im Vergleich zum Menschen zwar eine deutlich Ähnlichkeit, jedoch ist das Bewegungsausmaß zwischen Tier und Mensch unterschiedlich. 16

Des Weiteren wird bei diesen Studien nicht berücksichtigt, dass der Bewegungsablauf beim Crunch ein deutlich anderer ist als bei Tierversuchen. Beim Crunch wird hauptsächlich die Brustwirbelsäule gebeugt und nicht die Lendenwirbelsäule, die anfällig für Bandscheibenprobleme ist. 17

 

Fazit

Der Crunch kann nicht (generell) als schädlich für den Rücken bezeichnet werden. Vom Crunch gehen diverse positive Effekte für den Rücken aus:

  • Steigerung der Beweglichkeit der Wirbelsäule,
  • Verbesserung des Stoffwechsels der Bandscheibe,
  • Kraftsteigerung und Muskelwachstum der Bauchmuskulatur.

 

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Notes:

  1. Bei statischen Übungen wird der Körper in einer Position gehalten. Es findet keine Bewegung statt.
  2. Bei dauerhaften konzentrischen Kontraktionen kommt es zu einer Verminderung der Sakromere.Butterfield TA, Leonard TR, Herzog W. Differential serial sarcomere number adaptations in knee extensor muscles of rats is contraction type dependent. J Appl Physiol. 2005 Oct;99(4):1352-8, Lynn, R and Morgan, DL. Decline running produces more sarcomeres in rat vastus intermedius muscle fibers than does incline running. J Appl Physiol 77: 1439–1444, 1994, Lynn R, Talbot JA, Morgan DL. Differences in rat skeletal muscles after incline and decline running. J Appl Physiol. 1998 Jul;85(1):98-104.
  3. Wisdom, Katrina M., Scott L. Delp, and Ellen Kuhl. “Use it or lose it: multiscale skeletal muscle adaptation to mechanical stimuli.” Biomechanics and modeling in mechanobiology 14.2 (2015): 195-215.
  4. https://www.bettermovement.org/blog/2011/does-excessive-sitting-shorten-the-hip-flexors
  5. Nur der Mensch dehnt sich systematisch. Zwar strecken sich Menschen und Tiere, jedoch ist das kein Stretching. Beim „Strecken“ kommt es zu einer Kombinationsbewegung der Muskulatur aus Verlängern, Verkürzen und Versteifen. . „Strecken“ kommt häufig morgens und abends vor, meist in Verbindung mit dem Aufwachen oder einsetzender Müdigkeit. Jedoch ist das Strecken kein Dehnen, da es von zu kurzer Dauer und zu geringer Häufigkeit ist, um die allgemeine Dehnfähigkeit zu erhöhen. Das „Strecken“ hat einen eigenen psychologischen und physiologischen Nutzen. (Bertolucci, Luiz Fernando. “Pandiculation: Nature’s way of maintaining the functional integrity of the myofascial system?.” Journal of bodywork and movement therapies 15.3 (2011): 268-280, Campbell, Matthew W., and Frans BM de Waal. “Ingroup-outgroup bias in contagious yawning by chimpanzees supports link to empathy.” PLoS One 6.4 (2011): e18283.)
  6. Lederman, Eyal “Therapeutic Stretching – Towards a functional approach.“ Elsevier Ltd. 2014.
  7. z.B. Jull, Gwendolen A., and Carolyn A. Richardson. “Motor control problems in patients with spinal pain: a new direction for therapeutic exercise.” Journal of manipulative and physiological therapeutics 23.2 (2000): 115-117, Richardson, C.A., et al., The relation between the transversus abdominis muscles, sacroiliac joint mechanics, and low back pain. Spine, 2002. 27(4): p.399-405.
  8. Schulte, E., U. Schumacher, and M. Schünke. “Prometheus-Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem.” (2011).
  9. M. obliquus externus und internus abdominis, M. transversus abdominis, M. rectus abdominis, M. pyramidalis, M. quadratus lumborum, M. iliopsoas.
  10. Magill, Richard A. “Motor learning and control.” Concepts and Applications, (1999).
  11. Magill, Richard A. “Motor learning and control.” Concepts and Applications, (1999).
  12. Fisher, James, et al. “Evidence-based resistance training recommendations.” Med Sport 15.3 (2011): 147-162.
  13. Magill, Richard A. “Motor learning and control.” Concepts and Applications, (1999). Eine (negative) Auswirkung kann bestehen, wenn man die Kräftigungsübung der Fertigkeit sehr ähnlich macht. Siehe weiter oben das Beispiel des Baseballschlägers.
  14. Callaghan, Jack P., and Stuart M. McGill. “Intervertebral disc herniation: studies on a porcine model exposed to highly repetitive flexion/extension motion with compressive force.” Clinical Biomechanics 16.1 (2001): 28-37, Wade, Kelly R., et al. “How healthy discs herniate: a biomechanical and microstructural study investigating the combined effects of compression rate and flexion.” Spine 39.13 (2014): 1018-1028, Drake, Janessa DM, et al. “The influence of static axial torque in combined loading on intervertebral joint failure mechanics using a porcine model.” Clinical Biomechanics 20.10 (2005): 1038-1045, Tampier, Claudio, et al. “Progressive disc herniation: an investigation of the mechanism using radiologic, histochemical, and microscopic dissection techniques on a porcine model.” Spine 32.25 (2007): 2869-2874, Drake, Janessa DM, and Jack P. Callaghan. “Intervertebral neural foramina deformation due to two types of repetitive combined loading.” Clinical Biomechanics 24.1 (2009): 1-6, Marshall, Leigh W., and Stuart M. McGill. “The role of axial torque in disc herniation.” Clinical Biomechanics 25.1 (2010): 6-9, Wade, Kelly R., et al. “Surprise” loading in flexion increases the risk of disc herniation due to annulus-endplate junction failure: a mechanical and microstructural investigation.” Spine 40.12 (2015): 891-901.
  15. Der Crunch belastet die Wirbelsäule mit ca. 2000 N an Kompression. ER, CRAIG T. AXI, and STUART M. MCILL. “Low back loads over a variety of abdominal exercises: searching for the safest abdominal challenge.” (1997).
  16. Contreras, Bret, and Brad Schoenfeld. “To crunch or not to crunch: An evidence-based examination of spinal flexion exercises, their potential risks, and their applicability to program design.” Strength & Conditioning Journal 33.4 (2011): 8-18.
  17. Contreras, Bret, and Brad Schoenfeld. “To crunch or not to crunch: An evidence-based examination of spinal flexion exercises, their potential risks, and their applicability to program design.” Strength & Conditioning Journal 33.4 (2011): 8-18.
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